Autor: Dominik
Das Ai-S Nikkor 35mm f2 ist eine klassische Reporterlinse, welche durch ihr relativ kompaktes wie auch harmonisches Design, sowie eine hochwertige Verarbeitung besticht. Getestet habe ich sie an der hochauflösenden Nikon D810 Vollformatkamera bei 20 Megapixel, eine Herausforderung!
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1. Produkt
Standart-Festbrennweite.
2. Unternehmen
- Nikon Corporation AG (seit 1917), Shinagawa Intercity Tower C, 2-15-3, Konan, Minato-ku, Tokyo 108-6290, Japan
- Made in Japan
3. Kauf
- 05/2023: (inklusive Zoll und Einfuhrumsatzsteuer aus Japan)
- Gegenlichtblende: 30,-€
Eigentlich sagt man ja, seien 50mm DIE Brennweite schlechthin, man redet von „Normal-Brennweite“, da sie dem natürlichen Blickfeld (um 43mm) bzw. den Sehgewohnheiten des Menschen am meisten entspricht. Fotografiere ich jedoch mit 50mm Brennweite, komme ich mir vor wie mit Scheuklappen, normal kann DAS nicht sein. Zum Rand hin sehen wir natürlich deutlich mehr (ca. 20mm), aber dieses Randfeld eben auch nicht bewusst. Den Bereich wo mein Auge natürlich scharf sieht, meine Brennweite sozusagen, sind eher 35mm. Diese Festbrennweite war damals, vor den hochwertigen Zoom-Objektiven, sehr beliebt bei Reportern und Reisefotografen. Da ich Bildberichterstatter bin, ist dies ebenfalls meine „Normal-/Standart-Brennweite. Die Sache mit den 50mm kann durchaus eine der üblichen industriellen Werbelügen sein, von einem Manager mit eingeschränktem Blickfeld;-)
4. Spezifikationen
- Modellbezeichnung: Nikon Ai-S Nikkor 35mm f2
- Produktionsjahr: 06/1981 – 2005
- Serien-Nummer: 210001 – 333418 (meins: 315993)
- Produktionsvolumen: 123.417
- Vorgänger: Ai Nikkor 35mm f2 (1977 – 08/1981)
- Nachfolger: ohne (letztes 35mm f2)
- Gehäuse: komplett Metall, Gummi-Fokus-Ring
- optischer Aufbau: 8 Linsen in 6 Gruppen
- Brennweite: 35mm, fest
- Bildwinkel: 62°
- Naheinstellgrenze: 30cm
- Abbildungsmaßstab: 1:5,7
- Hyperfokale Entfernung: f5.6, f11, f16, f22
- Infrarotmarkierung: kleiner roter Punkt auf silbernem Metallring
- Blende: f2 – f22
- Blendenlamellen: 7 gerade
- Blendenring: präziser Gang, eindeutige Verrastungen
- Fokus-Drehung: 120° (Vorgänger 190°), sehr leicht (fast schon zu leicht)
- Breite Fokusring: 15mm
- maximaler Fokusweg: 6,5mm
- Frontelement beim Fokussieren: fest
- Länge nackt: 60mm
- Länge mit Deckeln: 73mm
- Länge mit Gegenlichtblende: 79/88mm
- Durchmesser: 62mm
- Filtergewinde: 52mm
- Gegenlichtblende: HN-3 (Metall)
- Gewicht nackt: 280g (=Herstellerangabe)
- Gewicht komplett mit Deckeln und Geli: 320g
5. Praxis
Darf man das sagen, es sieht schön aus? Schönheit ist natürlich subjektiv, und hier ist es bezogen auf die Dimensionen. Das 35mm f2 ist genau so lang wie breit, ein Würfel sozusagen, und damit irgendwie stimmig. Auch was das Gewicht mit unter 300g betrifft, alles passt irgendwie. Tatsächlich auch fast der Preis, wäre da nicht die Gebühren-Abzocke durch den deutschen Staat. Denn in Japan hat es mit $175 relativ wenig gekostet, und das in diesem neuwertigen Zustand; üblicherweise $200 mehr. Der Grund war einfach, wie aber auch recht leicht zu beheben: die Hasenohren haben gefehlt. Die Blendengabel, welche bei den älteren Kameras für die Belichtungsmessung mit verantwortlich ist, musste ich von einem anderen Objektiv um-montieren (als Ersatzteil nicht erhältlich). Gewiss hätte man sie auch weglassen können, aber dann fehlt auch irgendetwas; und das bei diesem stimmigen Objektiv;-)
Der Zustand ist wirklich tiptop, die Optiken sind klar (im maritimen Japan gibt es sonst häufiger Nebel und Pilz), der Fokus läuft sehr weich (beinahe schon eine Spur zu leicht), und der Blendenring rastet auf den Punkt. Laut Seriennummer schätze ich die Produktion bereits Anfang der 2000er, womit es auch relativ selten sein dürfte. Sämtliche andere, die ich weltweit gefunden hatte, waren entweder deutlich älter, oder ganz selten ab Serien-Nummer 6xxxxx, d.h. aus 2006-2020, und dann ab 800,-€ aufwärts!
Auch separat zulegen „musste“ ich mir die Gegenlichtblende HN-3. Neben dem eigentlichen Verwendungszweck nutze ich sie vor allem zum Schutz des Objektivs, da man doch mit der Kamera immer mal wieder irgendwo anstoßen kann, auch hält sie Schutz besser vom Frontelement fern. Moderne Plasteblenden bräuchten eigentlich selbst einen Schutz (mir sich bereits zwei kaputt gebrochen), diese Metallblende ist auch bei Felskontakt robust genug. Den originalen Deckel bekommt man gerade noch so hinein, ein anderer empfiehlt sich jedoch. Wer sich bei meinen alten Gelis wundert: ich versuche nach Möglichkeit immer eines der älteren Modelle mit Beschriftung der Objektive zu bekommen, es gibt die Blenden auch mit einfacher Beschriftung, sowie noch günstiger von Drittanbieter; alle passen wunderbar.
An meiner D810 macht das Nikkor 25mm f2 eine recht schicke Figur, wie ich finde. Auch wenn es diese Schönheit etwas beeinträchtigt, nutze ich das Objektiv dennoch konsequent nur mit Blende.
Blendenlamellen
Unschärfe-Bokeh
Schärfe
Nun wäre es natürlich noch schön, wenn auch die Schärfe genau so stimmig ist, wie das äußere Erscheinungsbild des Objektivs.
Close-Up
Zu Beginn an der Naheinstellgrenze von 30cm. Alle Aufnahmen an der Nikon D810, auf Stativ, mit Kabelfernauslöser, aber ohne Spiegelvorauslösung. Daraus dann jeweils ein Ausschnitt aus der oberen Bildmitte sowie der unteren linken Bildecke im Format 600 x 400 Pixel (knapp 100% Vergrößerung).
Wirklich scharf, oder auch am schärfsten ist tatsächlich nur Blende 11. Von Blende 2 zu Blende 4 gibt es eine deutliche Steigerung der Schärfe, ab f4 vollzieht sich diese dann nur noch geringfügig. Blende 16 ist nicht mehr ganz so scharf wie Blende 11, aber noch schärfer als Blende 8. Blende 22 rangiert zwischen Blende 8 und 5.6.
Erwartungsgemäß dann das Resultat in der Bildecke: einzig Blende 16 kann als scharf bezeichnet werden, und Blende 22 ist schärfer als Blende 11. Ein Makro-Objektiv ist das 35mm f2 damit schon mal nicht.
Nahbereich
Gleiches Motiv, identische Einstellungen, nur Format-füllend aus 165cm Entfernung.
Hier darf man nun natürlich eine bessere Leistung erwarten, und so ist es dann auch. Blende 2 jedoch bleibt weich, und auch Blende 2.8 würde ich noch nicht als scharf bezeichnen. Bei Blende 4 setzt die Schärfe ein, steigert sich ganz langsam, und ist bei Blende 8 auf ihrem Maximum angekommen, fällt danach ähnlich langsam wieder ab. Blende 22 liegt in etwa zwischen Blende 2 und 2.8.
In der Bildecke ist diese Schärfeentwicklung aufgrund des Motivs (Schrift) noch etwas besser zu sehen, auch hier bleibt die maximale Bildschärfe bei Blende 8, wobei man hier bezüglich des Unterschieds zu Blende 11 sicher streiten könnte. Blende 22 liegt auf dem Niveau von Blende 4.
Entfernung 50m
Anderes Motiv, größere Entfernung, Einstellungen wie zuvor: Nikon D810, auf Stativ, mit Kabelfernauslöser; aus dem Originalbild jeweils die Ausschnitte aus der rechten Bildmitte (Haus mit Schornstein) sowie der linken unteren Bildecke (Wiese).
Etwas schwieriger zu erkennen, aber auch hier ist Blende 8 die schärfste. 11 ist etwas schärfer als 5.6, Blende 16 wieder etwas schwächer, aber besser als Blende 4. Blende 22 rangiert zwischen 4 und 2.8, hier macht sich die Beugungsunschärfe mehr bemerkbar als im Nahbereich.
Ähnliches Resultat wie schon oben am Fahrzeug, nur mit ein bis zwei Blenden Versatz, d.h. Blende 11 oder 16 oder auch beide sind die schärfsten, Blende 22 ist schärfer als Blende 8, alles darunter ist unscharf.
Vergleich Zoom-Objektiv
Zur Veranschaulichung ein Vergleich bei gleicher Brennweite, mit dem mir bekannten schärfsten Weitwinkel-Zoom-Objektiv, dem Nikon AF-S Nikkor 17-35mm f2.8 D ED (sowohl das 24-70mm als auc das 28-70mm hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft). Beide Aufnahmen auf Stativ mit Kabelfernauslöser, Blende 8, 1/160s und ISO100. Aus dem Originalbild 7360 x 4912 Pixel dann jeweils ein Ausschnitt mit 100% Vergrößerung. Zu erkennen ist, das Zoom hat einen minimal größeren Blickwinkel sowie auch etwas mehr Kontrast, bei der Schärfe jedoch sehe ich keinen Unterschied.
Zusammenfassung
Mit Blende 8 macht man grundsätzlich nichts falsch, darüber und darunter hängt sowohl von der Aufnahmedistanz als auch natürlich von den persönlichen Vorlieben ab. Für einen Reisereporter würden diese Resultate womöglich genügen, und entsprechend der damaligen Bedingungen dürften sie auch noch um einiges besser gewesen sein, denn immerhin bilde ich hier an einer hochauflösenden modernen DSLR ab. An dieser schlägt sich das 35mm f2 ganz wacker, aber auch nicht herausragend; durchschnittlich würde ich einmal sagen.
Flares
Mal etwas ganz Anderes: größte vs. kleinste Blende bei direkter Sonneneinstrahlung. Erstes Bild würde wohl so niemand aufnehmen, aber es zeigt auch die Randabschattung (Vignettierung) bei Offenblende. Das zweite Bild ist wieder etwas realistischer, wobei man die Sonne je nach Motiv sonst besser in eine Bildecke platziert, vor allem, wenn man mit einer Linsenreflexion dem Bild ein wenig mehr Dynamik verpassen möchte. Allerdings sollte man es mit diesem Objektiv allgemein vermeiden, direkt in die Sonne zu fotografieren, denn es hinterlässt sehr schnell recht unschöne Linsenreflexionen, zudem auch praktisch nie gleichförmige (klare) Sonnenstrahlen.
Schnappschüsse
Ein paar Blüten bei mir auf dem Grundstück Freihand, mit entsprechendem Vergrößerungs-Ausschnitt.
Meine Lieblingspflanze unter den kleineren, die Berg-Flockenblume (Cyanus montanus), mit ihren frischen Pfirsisch-Duft.
Und weil ich von ihr nicht genug bekommen kann, hier in Kombination mit dem Vielblütigen Weißwurz (Polygonatum multiflorum).
Kein Grund zur Sorge, das ist harmloser als es aussieht. Auch wenn wir hier öfter mal den Eichenprozessionsspinner und dessen Juckreiz haben, hier handelt es sich nur um Raupen der hell-weißen Gespinstmotten (Yponomeutidae); es gibt an die 1000 Arten davon. Solange sie nicht an meinen Obstbäumen hängen, und hier, wie in diesem Fall einen relativ unwichtigen Zweig befallen, lasse ich sie auch in Ruhe. Die Feldermäuse dürften es mir danken, fliegt doch nachts, Dank der verseuchten Landwirtschaft, sonst nur noch wenig durch die Gegend.
Persönlich gefällt mir der Blickwinkel mit 35mm Brennweite deutlich mehr, als der Standard von 50mm. Dass man 35mm in die Schublade der Weitwinkel gesteckt hat, hat mir nie gefallen. 40mm +/-10mm als Normalbrennweite zu bezeichnen, würde deutlich mehr Sinn machen, und gewiss würde sich dafür auch eine Lobby finden.
Anfang Juni, wenn die Gerste langsam beginnt gelb zu werden, beginnen am Feldrand die Kornblumen (Centaurea cyanus) zu blühen.
Ilai bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Futtern. Auf dem zweiten Bild sieht man ebenfalls unsere Mückenplage.
Ein paar Indoor-Aufnahmen bei sehr bescheidenem Licht. Das erste Bild zeigt die natürlichen Lichtverhältnisse in meiner Hütte, die anderen bei eingeschalteter Deckenbeleuchtung. Hier würde ich mir eine Blende 1.4 wünschen;-)
Erste Ernte meiner geliebten Senga Sengana am 02.06.23. Dieses Jahr wird es so gut wie keine Kirschen geben, auch Pfirsisch sieht krank aus, dafür jedoch hat sich bislang noch keine Maus an meinen Erbeeren bedient.
Vergleich zum Ai-S 50mm f1.8
Beide Aufnahmen auf Stativ mit Kabelfernauslöser bei Blende 8, 1/160s, ISO100, und daraus jeweils ein Ausschnitt mit 100% Vergrößerung.
6. Positives
- robuste Bauweise
- sehr hochwertige Verarbeitung
- stimmiges Gesamtdesign
- sauber laufender Fokus und knackiger Blendenring
- genaue Schärfe-Einstellung im Nahbereich bis 2m
- gute Schärfe im mittleren Blendenbereich
- sehr genaue Schärfe-Einstellung im Nahbereich bis 2m
- unendlich-Fokussierung auf Anschlag
- natürlicher Blickwinkel
7. Negatives
- Blenden 2.0 und 2.8 grundsätzlich nur weich, auch f4 nur mäßig scharf
- Schärfe steigert sich nur langsam, und wird auch erst vergleichsweise spät erreicht
- an Vollformat praktisch nie richtig scharfe Bildecken (wobei das Jammern auf hohem Niveau ist)
- bei über 2m Entfernung aufgrund des kurzes Drehwinkels u.U. schwieriges Fokussieren
- Gegenlichtblende nur optional
8. Fazit
In Hinblick auf den üblichen Marktpreis fällt mein Resultat eher nüchtern aus. So schön das Design auch ist, sind die Resultate zwar ok, aber nicht umwerfend. Wobei ich hier zugeben muss, dass dies Jammern auf hohem Niveau ist, denn das Objektiv ist gewiss nicht schlecht. Offensichtlich ist das 35mm f2 eher für den mittleren sowie Nahbereich, sowie vor allem für eine Schärfe in der Bildmitte ausgelegt. Genau das, was eine Reporter-Linse eben ausmacht, und dafür ist es auch sehr gut geeignet. Bedenkt man den sehr leichtgängigen, und am Ende auch nur (Ai-S-typisch) kurzen Fokus, würde ich es, zumindest am digitalen Vollformat, nicht für die Landschaftsfotografie einsetzen. An anderen (älteren) Kameras, speziell auch mit Crop-Faktor (DX) dürften die Resultate vermutlich besser sein.
Zugelegt hatte ich es mir nicht etwa für meine Touren, sondern für die Reviews, was vom Gedanken her auch nicht falsch war. Versprochen hatte ich mir lediglich eine besser nutzbare Offenblende, sowie einen etwas breiteren Schärfebereich. Weil mir die 35mm Brennweite dennoch gefallen, würde ich noch ein Versuch mit dem (bezüglich üblichem Marktpreis) doppelt so teureren Nikon Ai Nikkor 35mm f1.4 unternehmen; hier soll wohl zumindest die Offenblende besser nutzbar, und die Gesamtschärfe auch an FX etwas höher sein.