Autor: Dominik
Die Pirouette P3 ist eine elektrische Kaffeemühle aus den 1960er Jahren der DDR, und eignet sich unter anderem zur Herstellung von frischem Mokkapulver.
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1. Produkt
Kaffeemühle für Mokka
2. Unternehmen
Die Mokkamühle Pirouette P3 wurde von den Volkseigenen Betrieben der DDR sowohl im Werk Oberlind in Thüringen, als auch bei der Galvanotechnik Leipzig hergestellt.
VEB Elektroinstallation Oberlind
- VEB Elektroinstallation Oberlind, Sonneberg, Thüringen
- Stromanschluss: Krania Kabel Stecker, Kranichfelder Bahnhofstraße 16, 99448 Kranichfeld, Thüringen
- Unternehmensgeschichte:
- ab 1921 Siemens-Schuckertwerke
- ab 1948 VEB IKA Oberlind (Haushaltsgeräte und Modelleisenbahn)
- ab 1958 VEB Elektroinstallation Oberlind (kleine Küchengräte und Staubsauger)
- ab Mitte 1960er Jahre weltweiter Export unter dem Namen EIO (z.B. Neckerkann, Quelle)
- ab 1990 EIO Sonneberg verkauft durch Treuhandanstalt an die irländische Glen-Dimplex-Gruppe (Staubsaubger bis 2017, Schaltschränke bis 2019)
- Schließung 2020
VEB Galvanotechnik Leipzig
- VEB Galvanotechnik Leipzig, Torgauer Straße 76, 7050 Leipzig
- Stromanschluss: Kabelwerk Oberspree, Wilhelminenhofstraße 76, 12459 Berlin
- Unternehmensgeschichte:
- 01.12.1881 Chemische Fabrik und Laboratorium für Galvanoplastik und Metallindustrie Dr. Georg Langbein & Co. (Dösener Weg 9-11, Leipzig)
- 1889 Fabrikanlage Torgauer Straße 76, Leipzig
- 1907 Zusammenschluss mit Firma Wilhelm Pfanhauser zu Langbein-Pfanhauser Werke AG
- 1920 erste Halbautomaten zur Vernickelung
- 1933 erste Nickel-Chrom-Vollautomaten
- 1935 patentiertes Eloxal-Verfahren
- 1940 größter deutscher galvanotechnischer Fachbetrieb mit über 2.000 Mitarbeitern
- 1948 sowjetische Enteignung (–> neues Werk in Neuss ab 1954 der Langbein-Pfanhauser Werke AG, welche 1998 von den USA übernommen wurde, und als Holding 2005 sowie 2012 in Insolvenz ging)
- 1950 VEB Galvanotechnik Leipzig (GTL)
- 1970 Zuordnung zum Kombinat VEB Lokomotivbau Elektrotechnische Werke Hans Beimler (LEW) in Henningsdorf
- 1990 GalvanoTechnik Leipzig GmbH
- 1992 Standortwechsel nach Leipzig-Lindenthal
- 2002 Fusion mit Vopelius Chemie AG aus Fürth zu Galvanochemie Leipzig GmbH (GCL)
3. Kauf
- 12/2022: Oberlind 35,-€ gebraucht (ehemaliger Neupreis 49,-M)
- 11/2023: Leipzig 21,-€ gebraucht (mit Originalverpackung)
- 05:2024: Oberlind (2x)
Eigentlich wollte ich nur eine manuelle Mühle für unterwegs auf Tour, als auch zu Hause nutzen. Leider jedoch habe ich vorerst kein dafür geeignetes Modell gefunden, weshalb es für zu Hause vorübergehend eine elektrische aber dennoch kompakte Maschine sein sollte. Die Pirouette P3 hatte mich optisch angesprochen, zudem reizte mich auch die alte robuste Technik. Nachdem ich das Modell aus Thüringen ein Jahr lang in Nutzung hatte, habe ich mir zum Vergleich und der Vollständigkeit halber dieses Reviews, auch noch das Modell aus Sachsen zugelegt; nur eine Mühle habe ich letztendlich behalten.
Neben der Pirouette P3 existierte auch noch das etwas größere Standmodell P1 mit Kunststoffbecher und 180 Watt Leistung. Meine Eltern besaßen damals die größere SWM4 in orange mit 150 Watt Leistung, der Baujahre 1975-1980, ebenfalls aus Sonneberg. Bei meinen Großeltern kam eine hölzerne manuelle Mühle für den Tischbetrieb zum Einsatz, und bei meinen Urgroßeltern hing eine kurbel-betriebene Mühle aus Blech und/oder Keramik mit Glasauffangbehälter an der Wand. Insofern brachte mich die P3 auch wieder ein wenig zurück in die längst vergangene DDR-Zeit.
4. Spezifikationen
Beide Versionen unterscheiden sich bei den Gewichten sowie dem Stromanschluss. Die Leipziger Pirouette ist knapp 100g schwerer, weil sowohl ihre Mühle, ihr Becher, als auch ihr Kabel schwerer sind. Beim Glasbecher ist der Kunststoffring etwas massiver und aus einem Material, an der Mühle gibt es zusätzliche Gummifüße, und das 14cm längere Kabel aus Berlin (KWO) ist auch dicker isoliert als das aus Thüringen (Krania). Der innere Aufbau, sowie alle andere technischen Daten scheinen jedoch identisch zu sein.
- Material: Kunststoff (Bakelit), Glas, Metall
- Leistung: 120 Watt
- Spannung: 220 Volt
- Leerlaufdrehzahl: 26.000 U/min
- Lastdrehzahl: 20.000 U/min
- Umfangsgeschwindigkeit an den Spitzen des Mahlfügels: ca. 80 m/s
- Betriebsdauer: KB 1min (Oberlind) / KB 3min (Leipzig)
- Maße: 155 x 85 mm
- Farben: diverse Farbtöne von gelb, blau und grau
- Baujahr: 1963 (Oberlind) / 1965 (Leipzig)
- Waren-Nr. 36837410
- Einzelhandelsverkaufs- bzw. Endverbraucherpreis (EVP): 49,-M
Oberlind (Thüringen)
- Kabellänge: 135+6 cm
- Kabelquerschnitt: 5 x 2,5mm
- Gewicht Mühle: 560 g
- Gewicht Becher: 210 g
- Gewicht gesamt: 815 g
Leipzig (Sachsen)
- Kabellänge: 149+5 cm
- Kabelquerschnitt: 6 x 3 mm
- Gewicht Mühle: 610 g
- Gewicht Becher: 240 g
- Gewicht gesamt: 910 g
Bedienungsanleitung
Eine seltene originale Bedienungsanleitung habe ich später zusammen mit einer weiteren Pirouette erworben.
5. Praxis
Funktion
Zum Zeitpunkt meines Kaufs war die Mokkamühle bereits über 60 Jahre alt, und funktionierte immer noch tadellos! Mit den heutigen kapitalistischen Wegwerfprodukten geplanter Obsoleszenz hat dieses Gerät nicht das Geringste zu tun. Man hätte erwarten können, dass der Motor langsam verschlissen war, das Messer abgenutzt, der Einschaltmechanismus ausgeleiert, das Kunststoff spröde, oder wenigstens das Kabel porös. Statt eventuellen Defekten, fehlte lediglich (vermutlich durch Unachtsamkeit) eine der beiden Kunststoff-Gehäuseschrauben. Darüber hinaus befand sich diese Mühle in einem gutem und voll funktionsfähigen Zustand.
Nach heutigen “Sicherheitsstandarts” dürfte diese Mühle vermutlich nicht mehr betrieben werden. Dennoch ist der Mechanismus ziemlich sicher: man füllt die Bohnen in den Glasdeckel, steckt die Mühle kopfüber darauf, stellt sie waagerecht auf eine Unterlage (oder hält sie wie ich einfach in der Hand), dreht beide Teile dann gegeneinander so dass die Pfeilmarkierungen miteinander fluchten, während dieses Drehens und ca. 1cm vor dem Fluchten der Markierungen schaltet die Maschine mit spürbarem Drehwiderstand ein. Um die Feder dieses Mechanismus nicht unnütz zu belasten lagere ich die Maschine nur mit aufgesetztem, aber nicht zugedrehtem Deckel. Damals konnte man noch auf den Verstand der Nutzer bauen, eine menschliche Eigenschaft die durch immer mehr Bequemlichkeit zunehmend ausstirbt.
Heute würden vermutlich einige weniger mitdenkende Nutzer den Deckel bereits öffnen, bevor der Motor zum Stillstand gekommen ist, was ungefähr 1-2s dauert, oder aber vielleicht den Deckel lösen, ohne dass die Maschine vorher wieder auf den Kopf gedreht wurde, oder sogar die Maschine auf Kopf betreiben und sich wundern, dass nichts gemahlen wird. Je dümmer man ist, desto mehr idiotische Fehlbedienungen kommen sicherlich in Betracht. Damals mussten die Hersteller glücklicherweise noch nicht an all diese Dummheiten denken, und konnte sich voll Funktion und Haltbarkeit konzentrieren. Heute wäre die Produktverpackung voll von mindestens 27 Sicherheitshinweisen, die Bedienung bestimmt idiotensicher, und das Gerät bereits nach einem Jahr defekt. Das nennt sich dann “technischer Fortschritt”.
Der Glasbecher ist zwar sehr massiv, sollte aber dennoch nicht auf den Boden fallen. Damals gab es diesen noch als Ersatz “Kaffeebecher P3” für 1,80M. Ein Glasbehälter welcher über 60 Jahre lang hält, zum Preis von nur zwei ostdeutschen Mischbroten bzw. einem damaligen Stück Butter! Die Markierungen fassen in etwa: 10, 20 und 30g Kaffeebohnen, wobei die umlaufende Linie dem Maximum von 30g entspricht.
Je nach Mahldauer entsteht eine unterschiedliche feine Körnung. 3 mal den Mechanismus für jeweils 3 Sekunden bedient, ergibt ein relativ grobes Granulat von bis zu einen Millimeter, verdoppelt man die Anzahl oder auch die Zeit, erreicht man die maximale Feinkörnigkeit von ca. 0,5mm.
Verglichen mit modernen Geräten bzw. Kaffeevollautomaten und ihren millimetergenauen Keramikmahlwerken, erreicht diese Mühle nicht den feinen Kaffeestaub, welchen man beispielsweise für einen perfekten Espresso benötigt (Korngröße um 0,2mm). Für einen Filterkaffee (Korngröße ca. 0,5mm) reicht es gerade so aus, und für einen typischen DDR-Mokka, d.h. einen Aufguss ohne Filtration, ist das Ergebnis genau richtig. Deshalb lautet der Beiname der Pirouette P3 auch Mokkamühle. Sie mahlt mindestens so fein wie eine damalige manuelle Mühle, dies jedoch in einem Bruchteil der Zeit, praktisch ohne nennenswerten Aufwand, und mit Freude beim Benutzer.
Beim Öffnen des Gehäuses zur Reinigung erwies sich die Mühle als stark mit Kaffeepulver zugesetzt. Statt jedoch danach zu riechen, roch das Innere eher nach Elektroschrott, was dafür sprach, dass sich diese Kaffeereste bereits sehr sehr lange in der Mühle befinden musste. Getreu der Devise “never touch a runnig system” habe ich zwar den Becher vollständig, die Mühle jedoch nur oberflächlich gereinigt; einiges an Pulver war auf den elektrischen Komponenten bereits festgebrannt. Eine passende Senkkopfschraube hatte ich leider nicht zur Hand, schon gar keine aus Kunststoff, und so blieb es weiterhin bei einer fehlenden Schraube.
Vergleich
Als ich mich entschlossen hatte, zur Mühle ein Review zu schreiben, habe ich mir kurzerhand noch eine zweite zugelegt, weil ich mir schon gedacht hatte, dass zwei verschiedene Betriebe nicht 100% identische Produkte herstellen.
Neben dem etwas längeren und dickeren Kabel des Leipziger Modells unterschied sich vor allem das Bodenteil. Anfangs dachte ich noch, beim Thüringer Exemplar würden die Füße fehlen, im Vergleich jedoch fiel auf, dass die Galvanotechnik Leipzig die Gummifüße durch das Kunststoffgehäuse gesteckt hatten, und man in Sonneberg vermutlich gar keine zusätzlichen Füße vorgesehen hatte? Ein anderes Exemplar aus Sonneberg aus 1965 war praktisch mit dem aus Leipzig identisch, was dafür spricht, dass mein Exemplar aus Sonneberg eine ältere, vielleicht die erste Version der Mühle ist, welche noch keine Gummifüße besaß.
Auch beim Glasbecher gibt es einen Unterschied, der vermeintlich jüngere aus Leipzig ist 30 schwerer, denn offensichtlich besitzt dieser einen anderen Kunststoffring (weiß) aus einem dichteren härteren Material (vermutlich Bakelit), als der grüne aus Thüringen; funktionieren tun jedoch beide gleich gut. Bei einigen Glasbechern sieht es auf Bildern manchmal so aus, als hätten diese einen Riss in der Mitte; tatsächlich könnte dies aber auch nur eine Unebenheit an der Glasinnenseite sein.
Dass die Mühle aus Leipzig jünger sein dürfte dafür spricht auch ihr deutlich sauberes Gehäuse, welches ich nur wenig reinigen musste. Auch wenn Krania DER Steckerbetrieb in der DDR (und auch noch danach) gewesen ist, sagt mir das dickere Kabel des Leipziger Gerätes mehr zu. Denn in Berlin Oberschöneweide (Treptow-Köpenick) habe ich von meiner damaligen Dachgeschosswohnung in der Wilhelminenhofstraße nicht nur auf die HTW (Hochschule für Technik und Wirtschaft), sondern jeden Tag genau in die alten Preoduktionshallen der Kabelwerke Oberspree (KWO) geschaut. Und somit habe ich nicht nur eine Mühle aus der DDR, sondern auch noch mit einem Kabel meiner späteren Heimat.
Weil zwei Mühlen mindestens eine zu viel sind, habe ich mich für den Verbleib der blassgelben entschieden, auch wenn mir das seltenere hellblau zumindest optisch besser gefiel. An den fehlenden Gummifüßen und der Gehäuseschraube lag es nicht, sondern tatsächlich nur am Mehrgewicht…weil schwerer immer besser ist:-)
Später bin ich dann auch noch zu anderen Pirouetten gekommen, bei denen man im Vergleich sehr gut die unterschiedlichen Farbtöne erkennen kann. Die gelbste der drei links scheint übrigens aus einen leichteren Kunststoff zu bestehen, als die blassgelben rechts, welche offenbar aus Bakelit gefertigt wurden.
Die nicht selten defekten Kunststoff-Schrauben einiger Mühlen, habe ich übrigens durch neue M5x20mm ersetzt. Diese gibt es für den Modellbau in PE und Nylon, wobei nur erste mit Schlitz-Senkkopf, und zweite mit Kreuzschlitz zu haben waren. Aufgrund der notwendig elektrischen Isolierung, dürfen hier keinesfalls Metallschrauben verwendet werden.
6. Positives
- kompakt
- zuverlässig
- leistungsstark
- formschön und handlich
- reparabel (Kohlebüsten)
- nachhaltig
- Freude-bringend
- Intelligenz-fördernd
- Made in Germany
7. Negatives
- nur noch wenig Angebote an Gebrauchtgeräten
- nicht für sehr feines Kaffeepulver <0,4mm geeignet
- Innengehäuse nicht Pulverdicht
8. Fazit
Was soll man sagen? Sie läuft und läuft! Und das auch nach 60 Jahren noch genau so zuverlässig wie am allerersten Tag. Mit dem Gebrauch solch eines Gerätes bekommt man auch heute wieder etwas mehr Verständnis für technische Funktionen, schult oder erhält seine Fertigkeiten im Umgang mit Alltagsgegenständen, und tut auch noch etwas für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Als Dank dafür wird man mit wohlschmeckendem Kaffee belohnt, im Idealfall sogar Mokka. Was will man mehr? Hoch die Tassen!
Hallo und vielen Dank für den Ausflug in die Geschichte der Pirouette.
Auf dem Foto “nach dem groben Reinigen” sind die beiden kleinen Blattfedern zu sehen, die die Funktion des Schalters ermöglichen.
Können die irgendwo noch erworben werden, ebenfalls auch die Kohlebürsten? Ich möchte mein Gerät wieder in Betrieb nehmen. Leider fehlen die Blattfedern.
Herzliche Grüße
Hallo Karin über nach 60 Jahren bezweifle ich, dass für die Pirouette auch nur ein einziges Ersatzteil irgendwo angeboten würde. Und wenn jemand tatsächlich noch über so etwas verfügt, fehlt nicht selten das Wissen, worum es sich da überhaupt handelt. Ohne die beiden Federn und intakte Kohlebürsten ist kein Betrieb möglich. Zwar könnte man sich die Federn auch selbst anfertigen, aber dazu wäre natürlich ein Muster als Vorlage sinnvoll; schwierig wenn man keines hat. Die sinnvollste Option wäre, “einfach” eine weitere Pirouette zu kaufen, vielleicht sogar als Ersatzteilspender günstiger weil defekt. Ich hatte schon Exemplare gesehen, da waren Gehäuse oder Deckel gerissen, eine solche P3 bekommt man unter 20,-€. In jedem Fall viel Erfolg, und hoffentlich bald ein neues Leben, dieses an sich sehr robusten Gerätes;-) Beste Grüße, Dominik
Ja, dankeschön, das ist ein gute Alternative. Wir haben hier eine große Trödelhalle.
Im Sommer bin ich in Thüringen, vielleicht kann ich in Oberlind (Sonneberg) fündig werden.
Herzliche Grüße